Schattenarbeit – Beispiele aus der Praxis

Wenn Du noch keine Erfahrung mit Schattenarbeit hast, ist es vielleicht nicht so einfach, konkret zu verstehen, worum es geht.

Deshalb habe ich ein paar anonymisierte Beispiele aus meinem Praxisalltag hier gesammelt.


Eine Frau, die ich schon seit einer Weile begleite und in letzter Zeit sehr wichtige Schritte auf ihrem Weg gemacht hat, kommt vor kurzem in großer Not zu ihrem Termin: Sie sei total fertig, es gehe nicht weiter… Sie fühle das Wasser "bis hierhin" – und zeigt (typische Geste) mit der Handkante auf dem eigenen Hals, den Wasserstand nachahmend. Sie habe panische Angst, unterzugehen, es sei bedrohlich und sie versuche krampfhaft, den Kopf über Wasser zu halten, wie man sprichwörtlich sagt.

Ich habe sie dazu eingeladen, genau da mit der Hand zu bleiben und ihr einen Perspektivenwechsel angeboten: Sie sollte untertauchen und ich wäre mit ihr da geblieben.

Nach ein paar Versuche hat sie es mutigerweise auch gemacht, bis sie bildhaft komplett im Wasser war –  und das war auch ihr Durchbruch.

In meiner Wahrnehmung hatte sie bis dahin große innere Schritte gemacht, die zwar auch im Körper gelandet waren, aber sie verweigerte, die Konsequenzen davon im Alltag (Berufs- & Liebesleben) zu ziehen, aus Panik "herunterzugehen".

Das, worauf sie am meisten Angst hatte, war gleichzeitig das, wonach sich ihr System stark sehnte und auch steuerte: Das Wasser, wo alles im Fluss ist, war sinnbildlich ihr neues Element und keine tödliche Bedrohung! Sie WOLLTE untertauchen UND sie hatte Angst vor den Konsequenzen.

Allein kommst du meist nicht darauf, jedenfalls nicht so schnell, vor allem wenn du sehr aktiviert und nicht geübt bist.

Bei der Schattenarbeit erleben wir oft einen solchen Perspektivenwechsel.


Eine Klientin, die früher sehr abgespalten war, liebt (seitdem sie achtzehn Jahre alt ist) extrem die Oper - so sehr, dass ihr berufliches Ziel geworden ist, als Dramaturgin zu arbeiten.

Seitdem sie mit der Therapie angefangen hat, wird sie aber nach jeder Oper-Aufführung immer wütender. Sie findet die Aufführungen schlecht, sie sucht akribisch nach Fehlern und sie fragt sich, was wird wohl von der Oper in der Zukunft werden. 

Während der Schattenarbeit zeigt sich, dass sie nicht wegen der vermeintlichen schlechter Qualität der Aufführungen und der Fehler wütend ist, sondern, dass sie inzwischen den Unterschied zwischen Drama und verbundenen Gefühlen begriffen hat und total genervt von Emotionen ist, die "nur" vorgespielt werden. Mehr noch: Inzwischen ist es ihr bewusst geworden, wie sehr sie sich selber oft ins Drama geflüchtet hat (in das eigene und in das inszenierte!), und dies macht sie auch wütend. Es erweckt auch Zweifel über ihre berufliche Wahl... wieder Wut.

Jetzt, dass sie es erkannt hat, kann sie die Oper für das, was sie ist, vielleicht wieder genießen: Kunst, statt echtes Leben.


Ein Klient kam zu mir, weil er sehr komische, fast unerträgliche Verspannungen hatte, als er sein Kind zur Eingewöhnung in den Kindergarten brachte – immer wieder, insbesondere wenn es Zeit für ihn war, zu gehen. Dabei ging es dem Kind in dem wunderschönen Kindergarten sehr gut und der Klient hatte also keinen Grund zur Sorge.

Es hat sich herausgestellt, dass der Klient neidisch war auf das Kind, das in so einem wunderschönen Spielort bleiben konnte, den ihm früher verweigert wurde. Das Problem war also nicht, sein Kind im Kindergarten zu lassen, sondern dass er dort nicht gleich mit bleiben konnte und als erwachsene Vater auf Arbeit musste.

Jetzt dass der Klient seinen kindlichen Neid und das dahintersteckende Spielbedürfnis entdeckt hat, kann er seine Symptome verstehen und Lösungen finden: Sein inneres Kind hat ihm schon mitgeteilt, was für ein Spiel es sich zu spielen wünscht.